Warum es schön ist, so zu sein....
Stand: September 2018
Ich bin ein Mensch des Ennea-Musters SECHS und das ist gut so. In diesem Muster bin ich zu Hause, es gibt meinem Leben Sinn und Orientierung, leider nicht immer voller Freude. Die Vorherrschende Leidenschaft meines Musters ist Furcht/Zweifel. Es gibt eigentlich nichts, wovor ich mich nicht fürchte, oder was meine Zweifel nicht weckt, je nachdem, wie tief ich dem im Inneren nachgehe und wie genau ich nachspüre. Vielmehr ist vordergründig damit der Automatismus gemeint, demzufolge ich alles, wirklich alles, infrage stelle – mich selbst natürlich eingeschlossen. Demzufolge bin ich stets sehr ambivalent. Ich vermag dies ohne Bewusstheit nicht zu steuern.
Seit ich dieses, mein Ennea-Muster, akzeptiere und damit Sorgen, Furcht und Zweifel als meine inneren Triebkräfte akzeptiere, wird mir allmählich immer klarer, wie sehr mich dies alles durchdringt. Davor hatte ich dazu keinen bewussten Zugang. Heute bin ich oft beeindruckt, auf was ich da stoße: mal kann ich schmunzeln, mal erschrecke ich davor und/oder schäme mich.
Die Welt zeigt sich mir nicht als ein bedingungslos einladender Ort, und ich muss sehr genau darauf achten, Vorkehrungen zu treffen und Bedingungen zu erfüllen, um mich berechtigt zu fühlen. Bis vor Kurzem hielte ich mich nicht für einen selbstverständlich gewollten Menschen, vielmehr waren es erfolgreich bestandene "Lebensprüfungen", aus denen ich Bestätigung erlebt und gezogen habe. Das ist mein Selbstbild, wie es aus dem Automatismus meines Ennea-Musters entsteht.
Ich halte die Welt und ihre jeweiligen Zustände für unsicher und fragil. Es macht für mich (Überlebens-)Sinn, potentielle Schwachstellen zu finden und diese auf ihre Zustände, Verlässlichkeit, mögliche Einflussnahmen und vorhandene Sicherheitspotentiale zu überprüfen. All dies läuft unbewusst und ohne Steuerung ab – es ist meine Musterenergie. Ich gehöre zu den Vertretern des Musters SECHS, die auf potentielle Gefahren oder Quellen der Unsicherheit kontraphobisch reagieren, das heißt, ich versuche mich der Bedrohung zu erwehren, indem ich mich ihr oft reflexartig entgegenstelle. Dies ist aber nicht immer so. Äußerlich wirkt das dann manchmal kraftvoll, draufgängerisch oder trotzig, bisweilen sogar mutig; in meinem Inneren ist aber eigentlich das Gegenteil der Fall, denn ich erlebe das nicht mit Freude. Regelmäßig stellt sich sogar ein schlechtes Gewissen ein.
Gerne erlebe ich mich in der Außenwirkung als stark und widerständig, weshalb ich dazu neige, in dieses Bild zu „investieren“. Ich bin in diesen Dingen von einer gewissen Eitelkeit geprägt, die zweierlei zum Ziel hat: zum einen soll die Welt mir Attraktivität und Stärke glauben, und zum anderen soll sie durch ihre Reaktion mein Selbstbild und meinen Wert stabilisieren. Dazu bin ich alleine nicht in der Lage, deshalb bediene ich mich hier sozusagen einer Inszenierung meines Egos. Das gibt mir Sicherheit, wenigstens oberflächlich.
Sicherheit ist mein ständiges Streben, ich überprüfe alles dahingehend. Ich hinterfrage die Ernsthaftigkeit anderer Menschen, ihre Authentizität, ihre Glaub- und Vertrauenswürdigkeit. Dazu stelle ich die Bedingungen, z. B. durch Reibung, also durch Kräftemessen. Besonders in allen Hierarchieebenen über mir ist das so. Gelingt mir das rasch, sorgt es für kurze Zeit für ein Gefühl der Sicherheit durch Überlegenheit. Nur kurz, denn ich muss dies ja ständig neu überprüfen und absichern. Kann ich dagegen nicht die Bedingungen zur Beziehungsaufnahme stellen, oder sehe mich einer Anpassung ausgeliefert, zwingt mich das in einen Abwehrmechanismus, der als Projektion bezeichnet wird. Das heißt, ich versuche dafür zu sorgen, dass meine Zweifel und Unsicherheiten von Menschen in meiner Umgebung geteilt und als berechtigt angesehen werden. Der so bestätigten „Gefahr“ stelle ich mich gerne entgegen, auch damit Andere schützend. Die sollen mich dann wiederum genau dadurch rechtfertigen und legitimieren. Dies erscheint auf den ersten Blick perfide – gar hinterhältig und durchtrieben –, folgt aber einer inneren Logik. Ich sehne mir immer nur „weiche und warme Beziehungen“ herbei, bin mir aber derer nie sicher und habe aus mir heraus eine große Hemmschwelle, wie selbstverständlich darum zu bitten. Daher wähle ich instinktiv den Weg vermeintlicher Härte, um die Sicht auf die eigene Verletzlichkeit und das Unvermögen zu kaschieren.
Tief drinnen bin ich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Ich verspüre einen starken „Wir“-Impuls, und mir liegt stets viel an der Sicherheit und dem Wohlergehen Anderer. Da ist es oftmals schwer, meine eigenen Bedürfnisse im Blick zu behalten und sie nicht zu übergehen, bzw. sie von den Bedürfnissen Anderer zu trennen. Im beruflichen und dort gerade im beratenden Kontext ist das besonders notwendig.
Grundsätzlich gelingt es, wenn ich mir selbst und der Welt gegenüber ehrlich und aufrichtig bin. Dazu ist es notwendig, meine Unsicherheiten und Zweifel zu zeigen und sie quasi zur Verfügung zu stellen. Das ist dann aber schon ein sehr bewusstes und erprobtes Vorgehen. Wenn mir das gelingt, folgen stets schöne, versöhnliche Erfahrungen von Nähe und Begegnung, die mir all das geben, wonach ich mich sehne: Akzeptanz und Getragen-Sein, Weichheit und Wärme.
Gelingt mir das nicht, bin ich automatisch damit beschäftigt, Verunsicherung zu kaschieren. Das möchte ich mir natürlich nicht anmerken lassen, da findet sich die Angst vor Ablehnung bestätigt. Oftmals geschieht dann eine typische Reaktion, z. B. inmitten eines Redebeitrags. Gerne „eiere“ ich dann verbal herum, habe entweder gar nichts mitzuteilen oder bin meiner Wirkung unsicher. Dann überprüfe ich den nächstfolgenden Satz bereits dahingehend, während ich noch dabei bin, den ersten auszusprechen – und verstolpere mich dann regelrecht. Mitmenschen verstehen dann oftmals nicht, was ich sagen will – es erscheint zu komplex, durcheinander, ohne klaren roten Faden.
Auch kann ich sehr hartnäckig, einschüchternd und wuchtig auftreten, wenn ich mich leichtfertig unverstanden glaube. Das kann in sehr kurzen Augenblicken geschehen und in Millisekunden aufflammen, z. B. wenn ich etwas Bedeutendes mitteilen möchte und mein Gegenüber die Aufmerksamkeit nicht aufrechthält. Das kann mich bis ins Mark treffen und mich zu emotionalen Ausbrüchen bringen, in deren Verlauf ich Menschen ein schlechtes Gewissen mache oder „Beziehungsschuldscheine“ verteile. Manchmal isoliere ich mich dann aber auch.
Wenn dann alles um mich herum ordentlich eingeschüchtert ist, greift wiederum der Reflex nach Harmonie herbeizuführen. Dieser lässt mich sanfter werden und ich neige zum Buhlen nach Vergewisserung der Beziehung. Diese ambivalenten Stimmungen schwanken manchmal ständig hin und her. Das ist mein Drama: Es gibt ohne Bewusstheit und ohne die Kenntnis um diesen Zusammenhang keine Gelassenheit. Die Gelassenheit stellt sich mit einer beginnenden inneren Versöhnung ein, mit einem klaren Ja-Sagen zu diesem chaotischen Hin und Her.
Als ich mein Muster kennenlernte, war der erste Akt, es nicht als Ausdruck einer Erkrankung zu erleben, für den ich es vorher gehalten hatte. Jetzt war es mein Ding. Der nächste Schritt war, vertrauenswürdige Menschen um Hilfe und Unterstützung zu bitten, dabei kam sogar ein Spitzname für meine Musterenergie zutage und dieser half dabei, über mich selbst zu schmunzeln: Humor als Spender von Kraft und Zuversicht. Es ging voran mit der Erweiterung des Kreises von Menschen, die mich nun verletzlicher und schwächer erleben durften, die meisten wussten es ja ohnehin schon immer …
Bislang ist daraufhin noch nie eine Katastrophe passiert, ganz im Gegenteil: die Menschen kommen mir näher – und darum geht es mir in Wirklichkeit. Es macht die meisten Sicherheitsmanöver immer häufiger und immer nachhaltiger überflüssig. In der Folge erlebe ich dann eine tiefe, fast ins Spirituelle reichende Verbindung mit dem, was ich für das Lebendige halte, wo alles einfach da ist: ein friedvolles Verschmelzen mit dem Augenblick, ein Aufgehen in universeller Bedingungslosigkeit. Das ist für mich Liebe, danach suche ich. Je intensiver ich daran beteiligt bin, desto weniger Bedeutung bekommen für mich die vielen, vornehmlich oberflächlichen Auseinandersetzungen in der Welt. Da ist es manchmal schwer, nicht abzudriften oder mich zu isolieren. Mir hilft dann meistens, den Kopf einzuschalten und faktische Gegebenheiten zu akzeptieren und auszuhalten, ohne damit gleichzeitig den sie überprüfenden Zweifel einzuschalten. Manchmal bin ich dazu aber zu ungeduldig.
Ungeduld ist ohnehin ein Aspekt, den ich gut kenne. Entscheidungen über längere Zeit konstruktiv auszuloten, fällt mir sehr schwer – ich werde dann schwermütig und missgünstig. Meine Mitmenschen werden dadurch ziemlich verunsichert, der oben genannte Abwehrmechanismus der Projektion tut seine Wirkung. Ich kann dann für die Anderen zu einem großen Unruheherd werden – die Dynamik läuft wie oben geschildert ab.
Ich bin grundsätzlich immer gut beraten, meinen Verstand zwischen mein Erleben und mein Handeln zu schalten. Ich kann dann untersuchen, ob und welche tatsächlichen Risiken mich umgeben, oder ob mein Erleben mich in meine Musterfalle treibt. Das Dazwischenschalten ermöglicht außerdem ein Innehalten des impulsiven Handelns. Es wirkt sich sehr konstruktiv aus, ist aber ungeheuer schwer, es im richtigen Augenblick auch zu tun. Oft merke ich erst nach der Situation, wie gut es gewesen wäre. Dann hilft bisweilen nur eine Entschuldigung bei den Mitmenschen.
Was hilft weiterhin?
Ich liebe es, für mich zu sein, abgeschieden von Anderen und dadurch sicher. Dann kommen Ruhe, Schlaf und Entspannung. Es ist nicht Einsamkeit, sondern Alleinsein. Kleine Auszeiten in gewohnter, überschaubarer Umgebung, ohne äußere Störungen. Bisweilen schalte ich sogar das Telefon stumm, um wirklich keine Irritation zu erleben. Dann koche ich gerne Kleinigkeiten für mich und kann dabei sehr entspannt sein. Ich pflege diese Dinge sehr ritualisiert. Natürlich sind eine Ortsveränderung oder längere Trennung von sicheren Beziehungen und Abläufen gleichwohl wiederum in ihrer Wirkung gegenläufig. Grundsätzlich gilt: Abläufe zu überblicken, gibt mir Sicherheit. Insofern beruhigt es mich, wenn Abläufe einem festen Schema folgen. Dabei kann ich dann die „Irritationssensoren“ ausschalten – es müssen aber meine definierten Abläufe sein.
Im beruflichen Kontext unterliege ich zwar ständigen, täglich neuen Anforderungen. In der Regel spielen sie sich aber in Räumen oder inhaltlichen Zusammenhängen ab, die ich sicher überblicke. Ich kann dann sehr zuvorkommend, spendabel, einladend und für andere Menschen sicherheitsstiftend sein. Ich übe mich gegenwärtig in dem Wagnis, mich auf unüberschaubare Abläufe einzulassen.
Wofür die Auseinandersetzung mit meiner Vorherrschenden Leidenschaft jede Mühe wert ist:
- Sie öffnet mich hin zu einer einladenden Welt voll lebendiger Prozesse.
- Sie führt mich hin zur Liebe und Sehnsucht nach der echten Begegnung mit Menschen.
- Sie bietet befriedigende Erkenntnisse über die Teilhabe am großen Ganzen.
- Durch jede Verwundbarkeit, die ich zulasse und sichtbar mache, verliert die Welt zunehmend die vorher gemutmaßten Gefahrenpotentiale.
- Sie steigert den Glauben, dass Alles gut wird.
- Sie ermöglicht es mir, Zuversicht für Andere herstellen zu können.
hartMut