Wie wir die Gruppe als Lernort verstehen
Auch wenn der Stil des Lehrens zur lehrenden Person passen muss und deshalb stets höchst individuell sein wird, ist unser Lehrprozess als offener Großgruppenprozess gestaltet. Wir alle üben uns darin, ihn sowohl als unseren Lernweg zu erkennen als ihn auch selbst zu praktizieren.
Er ist getragen von Martin Bubers Idee der Gegenseitigkeit. Lehrende und Lernende werden erst gemeinsam wirksam. Die Gleichwertigkeit beider Rollen bzw. der Wachstumsprozess hin zu gelebter Gleichwertigkeit auf beiden Seiten macht Entwicklungsprozesse erst möglich. Kein zeitlich organisiertes Konzept, keine noch so gekonnte Erst-dies-dann-das-Didaktik darf den tatsächlichen Entwicklungsschritten aller Beteiligten im Wege stehen. Die Inhalte gliedern sich durch Fragen, Wachstumsschmerzen, ausgesprochene Gedankengänge und Verarbeitungswege eines und einer Jeden.
"Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke. Unsere Schüler bilden uns, unsere Werke bauen uns."
"Wer in der Beziehung steht, nimmt an einer Wirklichkeit teil, das heißt: an einem Sein, das nicht bloß an ihm und nicht bloß außer ihm ist. Alle Wirklichkeit ist ein Wirken, an dem ich teilnehme, ohne es mir eignen zu können. Wo keine Teilnahme ist, ist keine Wirklichkeit. Die Teilnahme ist umso vollkommener, je unmittelbarer die Berührung des Du ist."
In einem solchen Rahmen entsteht eine Achtsamkeit für den eigenen Lernprozess und den der anderen Teilnehmenden. So wächst allmählich ein Verständnis für die verschiedenen Aneignungswege und -hürden anderer Ennea-Muster.
Wir meinen, dass der offene Großgruppenprozess für die Vermittlung der Enneagramm-Idee der geradezu notwendige Vermittlungsweg ist, denn die neunfache Verschiedenheit der Menschen und ihrer Lernschritte wird hierbei direkt erlebbar.
Allein auf sich gestellt kann wahrscheinlich niemand die Inhalte so vermitteln, dass sich diese vielfache Anderheit augenfällig erschließt und präsent wird. Alle am Lernprozess Beteiligten müssen ihre Sicht und ihr bestätigendes oder korrigierendes Feedback dazu beitragen, damit die Wahrheit des Lebendigen, die die Enneagramm-Idee meint und beschreibt, aufscheinen kann.
Dieser Lehrprozess entwickelt sich - im Unterschied zu bekannten Prozessen wie Psycho- und Gruppendynamik - zu einem Zusammenwirken, das Wilfried Reifarth als "Enneadynamik" beschrieben hat. Enneagrammatische Persönlichkeitsentwicklung und Egoreduktion sind nicht möglich, ohne sich selbst und den Anderen zu erkennen. Mit andern Worten: gleichsam neunsprachig zu werden.